Operative Adipositastherapie
Operationsverfahren mit unterschiedlicher Wirkung
Historisch werden nach ihrer Wirkung restriktive, malabsorptive und restriktiv-malabsorptive (kombinierte) Verfahren unterschieden.
Bei den eher restriktiven Verfahren wird hauptsächlich die Nahrungszufuhr vermindert (z. B. Sleeve-Gastrektomie, Magenballon, Magenband).
Bei primär malabsorptiven Verfahren wird die Nährstoffaufnahme im Darm eingeschränkt (z. B. biliopankreatische Diversion).
Die kombinierten, restriktiv-malabsorptiven Verfahren finden am häufigsten Anwendung. Diese vermindern einerseits die Nahrungszufuhr und schränken andererseits (durch die Verkürzung der Darmpassage) auch die Nährstoffaufnahme im Darm ein (z. B. Roux-Y-Magenbypass, Omega-Loop-Bypass, biliopankreatische Diversion mit Duodenal-Switch).
Bei allen Verfahren kommt es zu vielfältigen hormonellen Veränderungen, die bspw. Hungergefühle unterdrücken und damit eine rasche Sättigung zur Folge haben. Diskutiert werden auch Einflüsse auf das Mikrobiom des Darms und den Gallensäurenmetabolismus betreffend. Alle Operationsverfahren führen zu komplexen Veränderungen im Gastrointestinaltrakt, haben Einfluss auf neurochemische Prozesse, systemische Entzündungen und Effekte auf Fettgewebe, Muskulatur und Leber. Mithin auf den gesamten Metabolismus.
Es ist üblich, dass alle Verfahren minimalinvasiv, d. h. laparoskopisch durchgeführt werden.
Es werden nachstehend die gängigsten Verfahren erläutert. Wir stellen Vor- und Nachteile sowie Empfehlungen für das jeweilige Operationsverfahren vor. Auch die Besonderheiten bei der postoperativen Nachsorge werden ausführlich dargestellt.
Wirksamkeit Adipositaschirurgie

Operationsverfahren
Verfahrenswahl
Pauschal zu empfehlende Operationsverfahren existieren nicht. Daher soll das angemessenste Verfahren für den Patienten gewählt werden. Die Risiko-Nutzen-Analyse sollte unter folgenden Aspekten erfolgen: Präferenzen des Patienten, vorliegende Komorbiditäten, BMI, Alter, Geschlecht, Adhärenz und berufliche Tätigkeit.
Gemäß der S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen werden 4 Operationsverfahren empfohlen:
- Roux-Y-Magenbypass
- Omega-Loop-Bypass
- Schlauchmagenbildung
- biliopankreatische Diversion mit und ohne Duodenal Switch (dieses sehr spezielle Verfahren wird nur vereinzelt eingesetzt)
Für den Roux-Y-Magenbypass und den Schlauchmagen liegt eine sehr gute Evidenz vor. Die Implantation eines Magenbandes erfolgt nach aktuellen nationaler und internationaler Leitlinien nur noch in Ausnahmesituationen.
Häufigkeit der durchgeführten Verfahren
Magenband: Operationsverfahren mit hohen Komplikationsraten
Die Magenband-Operation wird in Deutschland und Europa kaum noch durchgeführt. Nur nach besonderer Abwägung soll ein Magenband implantiert werden. Grund hierfür sind die hohen Komplikationsraten[7]:
- Langzeitkomplikationen (Slipping, Penetration in den Magen)
- oftmals Revisionseingriffe notwendig
- ungenügender Gewichtsverlust (Reduktion des Übergewichts < 25 Prozent) bei Langzeitergebnissen
- Slipping: Magenanteile rutschen durch das Magenband (Folgen: Dehydration und Niereninsuffizienz)
- Minderdurchblutungen des Magens (Folgen: Wanderperforation, Nekrose)
- häufige Port-Infektionen
- Speiseröhrendilatation
Stufenkonzepte
Um das perioperative Risiko z. B. bei Patienten mit einem BMI > 50 kg/m2 zu senken, sind unter Umständen 2-Stufenkonzepte zu erwägen. Überwiegend wird als Erstoperation ein Schlauchmagen oder auch ein Magenballon angelegt, um nach suffizienter Gewichtsreduktion – mit dann niedrigerem perioperativem Risiko – eine Form der Bypass-Operation durchzuführen.
Allgemeine Patienteninformationen
Eine ausführliche Aufklärung der Patienten erfolgt in der chirurgischen Sprechstunde und muss folgende Aspekte umfassen:
- unterschiedliche Wirkweisen der einzelnen Operationsverfahren
- notwendige postoperative Veränderungen im Ernährungs- und Bewegungsverhalten
- notwendige Supplementierungen
- mögliche Effekte und Komplikationen
- Remissionen
- lebenslange Nachsorge
- ggf. Notwendigkeit einer postbariatrischen Wiederherstellungsoperation
Um eine langfristige Gewichtsreduktion zu gewährleisten, sind Patienten angehalten:
- die postbariatrischen Ernährungsempfehlungen (in Abhängigkeit vom Operationsverfahren) einzuhalten
- terminierte Nachsorgetermine wahrzunehmen
- an einer Selbsthilfegruppe in der prä- und postoperativen Phase teilzunehmen
Vorteile spezialisierter Zentren
Studien konnten zeigen, dass die postoperative Morbiditäts- und Mortalitätsrate mit der Erfahrung des bariatrischen Chirurgen korreliert.[8] Die S3-Leitlinie zur Chirurgie der Adipositas fordert daher auch, Eingriffe durch adipositas-erfahrene Chirurgen (u. a. persönliche Durchführung von mind. 100 adipositaschirurgischen Eingriffen) in Krankenhäusern durchführen zu lassen.
Institutionalisierte Adipositaszentren sind für bariatrische Eingriffe zu bevorzugen. Insbesondere werden dort eine qualifizierte präoperative Betreuung sowie die notwendige postbariatrische Nachsorge gewährleistet. Weiterhin ist es von Bedeutung, dass der stationäre Aufenthalt (z. B. Spezialbetten und -stühle), der Operationssaal (z. B. Spezialinstrumente, verstärkte Operationstische usw.) oder auch die Anästhesie speziell auf die Bedürfnisse adipöser und extrem adipöser Patienten eingestellt sind und das medizinische und pflegende Fachpersonal ist im Umgang geschult ist.
Antragsverfahren
Kostenübernahmepraxis der Kassen
Die Behandlung von Adipositas ist keine Regelleistung der gesetzlichen und privaten Krankenkassen in Deutschland.
Wenn ein Kostenübernahmeantrag gestellt wird, prüfen die Krankenkassen bzw. der medizinische Dienst der Krankenkassen (MDK) als Einzelfallentscheidung eine Kostenübernahme, die dann ausgesprochen wird, insoweit bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die Einzelfallprüfung wird aufgrund bereits veralteter, höchstrichterlicher Urteile bzgl. einer ‚Ultima ratio‘ indes kontrovers diskutiert. Es ist jedoch davon auszugehen, dass die aktuelle Rechtsprechung höchste Evidenzkriterien, und damit eine neuere Datenlage, anders interpretieren und sich anpassen wird.
In der Regel unterstützen die behandelnden Zentren ihre Patienten darin, einen Kostenübernahmeantrag zu stellen. Diese, als auch der MDK orientieren sich in der Antragstellung bzw. Begutachtung an den aktuellen Leitlinien der Fachgesellschaften (S3 Leitlinie) und den internen Beurteilungskriterien der Krankenkassen und ihrer medizinischen Dienste (MDS Leitfaden).
BMI > 50 kg/m2 (Primärindikation nach S-3-Leitlinie) bzw. BMI > 60 kg/m2 (Primärindikation nach MDK-Begutachtungsleitfaden)
- konservative Therapie wird durch multidisziplinäres Team als medizinisch nicht aussichtsreich eingestuft
- ernährungstherapeutische Betreuung als vorbereitende Maßnahme
- keine Kontraindikationen
Patienten mit besonders schweren Begleiterkrankungen (Primärindikation)
- nach Einschätzung der behandelnden Ärzte duldet ein operativer Eingriff keinen Aufschub
- keine Kontraindikation
BMI > 40 kg/m2 ohne Begleiterkrankungen
- Erschöpfung der konservativen Therapieformen
- keine Kontraindikation
BMI > 35 kg/m2 mit erheblichen Begleiterkrankungen
- Erschöpfung der konservativen Therapieformen (Als erschöpft gelten konservative Maßnahmen, wenn nach mind. 6 Monaten intensiver Lebensstilintervention keine Reduktion des Ausgangsgewichts um 15 Prozent (BMI < 40 kg/m2) oder um 20 Prozent (BMI > 40 kg/m2) erzielt werden konnte. Auch, wenn zwar das Gewicht erfolgreich reduziert werden konnte, jedoch Begleiterkrankungen weiterhin bestehen.)
- Begleiterkrankungen können u. a. sein: manifester Diabetes mellitus, schwere arterielle Hypertonie, Fettstoffwechselstörung, Obstruktives Schlafapnoesyndrom, (OSAS), Adipositas-Hypoventilationssyndrom, Pickwick Syndrom, nicht alkoholische Fettleber (NAFLD) /nicht alkoholische Fettleberhepatitis (NASH), Pseudotumor cerebri, Gastroösophageale Refluxerkrankung (GERD), chronisch venöse Insuffizienz, Harninkontinenz, immobilisierende Gelenkerkrankung, Einschränkungen der Fertilität oder polyzystisches Ovarialsyndrom
- keine Kontraindikation
Nach der S3-Leitlinie Chirurgie der Adipositas und metabolische Erkrankungen in der aktuellen Fassung stellen folgende Kriterien keine Kontraindikationen mehr dar:
- ein Lebensalter von über 65 Jahren
- Vorliegen entzündlicher Darmerkrankungen
- bestehender Kinderwunsch bei Frauen
Kontraindikationen sind vielmehr:
- instabile bzw. unbehandelte psychopathologische Zustände (unbehandelte Bulimia nervosa u. a. Essstörungen, aktive Substanzabhängigkeit)
- konsumierende und neoplastische Erkrankungen
- arzneimittelinduzierte Adipositas (Insulin, Antidepressiva, Beta-Blocker, Cortison)
- (unbehandelte) endokrinologische Erkrankung (monogenetische Defekte, Hypothyreose, hormonproduzierende Tumore)
- chronische Erkrankungen, die sich durch den Eingriff verschlechtern könnten (z. B. dek. Leberzirrhose)
- vorliegende oder unmittelbar geplante Schwangerschaft
Re-Evaluation möglich:
- psychopathologische Zustände sind stabil
- Erkrankungen sind erfolgreich behandelt bzw. medikamentös substituiert
Stellungnahme des behandelnden Hausarztes
- Ausschluss einer sekundären Adipositas
- Komorbiditäten
- Aktuelle Laborwerte (nicht älter als 8 Wochen bei Antragstellung): Blutbild, TSH, Cortisol i.S.
- Bereitschaft zur Übernahme der postoperativen Nachsorge bzgl. Laborkontrollen
Stellungnahme bzw. Attest mitbehandelnder Fachärzte
- sich in Behandlung befindliche Erkrankungen
Gutachten des behandelnden Chirurgen
- bestehende Kontraindikationen
- Bestätigung der Indikation
- Aufklärung des Patienten
Gutachten eines psychologischen Psychotherapeuten oder Psychiaters
- Ausschluss instabiler bzw. unbehandelter psychopathologischer Zustände
- Compliance, Coping-Strategien, Motivationslage, Krankheitseinsicht u.v.m.
- nicht älter als 8 Wochen
Nachweis über eine mindestens sechsmonatige konservative Therapie (sog. Multimodales Therapiekonzept mit Ernährungs- und Bewegungstherapie sowie Verhaltensmodifikation)
- ausführliche Nachweise der Ernährungstherapie und Ernährungsprotokolle
- ausführliche Nachweise der Bewegungstherapie (Schrittzählerprotokolle, Health-Apps, Mitgliedschaft im Sportverein oder Fitness-Studio, Eintrittskarten Schwimmen u.v.m.)
- Nachweis über verhaltensmodifikatorische Maßnahmen
Persönliche Stellungnahme des Patienten
Patienten sollten bereits im Vorfeld auch den MDK-Fragebogen ausfüllen und den Antragsunterlagen beifügen.
Sobald alle Unterlagen vollständig vorliegen, werden diese an die zuständige Krankenkasse weitergeleitet. Diese leitet sie an den MDK mit der Bitte um eine Stellungnahme weiter.
Patienten sollten darauf achten, eine schriftliche Eingangsbestätigung von der Krankenkasse zu erhalten. Die bis dato gängige Praxis der Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V, wonach der Antrag als genehmigt galt, wenn innerhalb einer bestimmten Frist kein Bescheid ergangen war, wurde Ende Mai vom Bundessozialgericht aufgegeben.
Die Zusagequoten sind abhängig vom Bundesland und den zuständigen MDKs.
Welche Unterstützung benötigen Patienten von Ihren Haus- und Fachärzten?
Die Kostenübernahmepraxis der Krankenkassen ist voraussetzungsreich. Patienten sind angehalten, von ihren Haus- und Fachärzten kurze schriftliche Stellungnahmen mit folgenden Inhalten einzuholen:
Als Hausarzt bestätigen Sie Ihren Patienten:
- seit wann der Patient in Ihrer hausärztlichen Betreuung ist
- welche Diagnosen dokumentiert sind (ICD-10-Code bitte angeben)
- welche Medikation bzw. welche Hilfsmittel oder Therapien der Patient erhält
- ob Sie die Operation bei Ihrem Patienten befürworten
- Ihre Bereitschaft, die postoperative Nachsorge in Bezug auf regelmäßige Laboruntersuchungen zu übernehmen
Als Facharzt bestätigen Sie Ihren Patienten:
- welche Diagnosen dokumentiert sind (ICD-10-Code bitte angeben)
- welche Medikation bzw. welche Hilfsmittel oder Therapien der Patient erhält
- ob Sie die Operation bei Ihrem Patienten befürworten